Noch immer werden die meisten Start-ups von Männern gegründet. Seit Jahren ist der Anteil an Gründern in Deutschland signifikant höher als der Anteil an Gründerinnen. 2020 waren rund 84% der Gründer*innen männlich. Durch eine solch ungleiche Verteilung geht viel Potential verloren. Im Juni 2018 gründet Melina Bucher bereits während ihres Masterstudiums ihr gleichnamiges Label und verfolgt seither ihren Traum von einer nachhaltigen Modewelt ohne Tierleid. Seither entwickelt sie Handtaschen, die ein Statement setzen – hochwertige Produkte, komplett vegan und nachhaltig produziert. Neben ihrer Tätigkeit als Unternehmerin ist sie Dozentin für Sustainable Fashion Management an Hochschule in Heidelberg und Reutlingen und Mentorin im ersten deutschen Textil Accelerator. Passend zum Weltfrauentag spricht Melina Bucher über Erfahrungen als weibliche Gründerin und welchen besonderen Herausforderungen sie und andere Gründerinnen in Deutschland gegenüberstehen.
Ich finde es offen gesagt oft schwierig, Diskriminierung zu erkennen und richtig zuzuordnen. Handtaschen sind noch immer eher Frauenprodukte. Investoren sind aber überwiegend (ältere) Männer , die häufig weniger Bezug zu dem Markt haben. Ob eine Absage dann daran liegt, dass ich eine Frau bin oder daran, dass man sich einfach besser mit Produkten identifiziert, die man auch selbst benutzen würde, ist schwer festzustellen. Seit ich aber meinen Fokus in Pitchrunden eher auf die technischen Innovationen lege wie zum Beispiel, dass wir unsere Lieferkette mit Blockchain tracken wollen, hören auch die männlichen Investoren mehr zu. Mit Frauen macht man andere Erfahrungen, sie verstehen die Produkte und was alles dahinter steht häufig besser, sitzen jedoch selten in den Gremien.
. Studien zeigen aber auch, dass es in Pitchrunden tatsächlich einen Gender-Bias gibt: Gründer werden viel öfter nach ihren Visionen gefragt, Gründerinnen eher nach dem aktuellen Kundenstamm und konkreten Finanzprognosen . Auch die Bewertung ist eine andere. Während Männer, die gründen, „mutig“ oder „risikofreudig“ genannt werden, sind Frauen „naiv“ oder „unerfahren“. Und natürlich begegnet man auch immer wieder Menschen, die lieber mit Männern sprechen wollen als mit einer Frau. Das fängt bei Bankern an und hört bei Produzenten im Ausland auf. Immer wieder sind es auch Kleinigkeiten, wie dass in E-Mails dem Partner geantwortet wird und in einem Gespräch nur er angeschaut wird oder betriebswirtschaftliche Fragen direkt an ihn gerichtet werden, obwohl wir beide denselben akademischen Hintergrund haben.
Melina Bucher bei einem Pitch Event
Es ist aber auch ein gesellschaftliches Problem: Ich habe die Beobachtung gemacht, dass Branchen, die eher frauendominiert sind, in der Gesellschaft eher belächelt werden und Produktneuheiten dort nicht als richtige „Innovationen“ wahrgenommen werden. Sei das in der Fashionbranche oder bei Gründerinnen, die Beautyprodukte entwickeln, obwohl es sich dabei um milliardenschwere Industrien handelt. Trotzdem werden Start-ups und auch ihre Gründerinnen in diesen Branchen nicht ebenso ernstgenommen wie die Entwickler der nächsten App oder anderer technischer Anwendungen. Ich kann mich beispielsweise noch erinnern, welche Schlagzeilen es zu lesen gab, als Kylie Jenner mit ihrem Kosmetikunternehmen Marc Zuckerberg als jüngste self-made Milliardärin überholt hat. Da hieß es, es läge nur daran, dass sie große Brüste hat oder dass ihre Familie berühmt ist. Das hat mich schockiert. An dieser Stelle sind alle gefragt, ihr Denkmuster zu reflektieren.
In dem Alter, in dem man Karriere macht, ist die Erwartung an Frauen häufig immer noch, dass sie sich zwischen beruflichem Erfolg und Familie entscheiden. Ich glaube, dass vor diesem Hintergrund oft Entscheidungen getroffen werden, sei es durch die Frau selbst oder die HR-Abteilung, die Frauen benachteiligen.
Vor allem glaube ich, dass die Tatsache, dass überwiegend Männer in den Spitzenpositionen tätig sind, einen großen Einfluss hat. Häufig möchte man sich mit Menschen, mit denen man sich identifizieren kann, umgeben und stellt deshalb eher die Leute ein, die einem ähneln. Ich habe aber auch das Gefühl, dass Männer risikoaffiner sind, gerade dann, wenn es darum geht, ein Unternehmen zu gründen. Die Frauen, die ich hingegen kennengelernt habe, durchdenken alles bis ins kleinste Detail und haben vielleicht das Gefühl, sich doppelt so sehr anstrengen zu müssen, weil sie sonst nicht ernstgenommen werden. Ein MVP wird daraus wohl nur in seltenen Fällen resultieren. Vieles ist hier vermutlich sozialisationsbedingt. Wir identifizieren uns stark mit unserem Geschlecht und all dem, wodurch es in der Gesellschaft definiert ist. Sich von den klassischen Rollenbildern wegzubewegen und gegen die Stereotype anzukämpfen, ist nicht immer leicht.
Melina Bucher entwirft eine Tasche für starke Persönlichkeiten. Female Empowerment und Leadership spielen in ihrer Kollektion eine große Rolle.
Interessanterweise sind viele Gründer und Designer in der Modebranche männlich, obwohl die meisten Menschen die Modebranche vermutlich eher als frauendominiert empfinden. Auch auf Modeevents sind die Sprecher oft männlich. Hier würde es helfen, Frauen mehr zu ermutigen. Ich bin nicht der Meinung, dass ein Instrument wie die Frauenquote langfristig die beste Lösung ist. Was wirklich helfen würde, ist mit positivem Beispiel voranzugehen, erfolgreichen Frauen eine Plattform zu geben und sie in den Vordergrund zu rücken, mehr Frauen in Diskussionen miteinzubeziehen und ihnen den Mut zu geben, ihre Meinung vehement zu vertreten. Dieser Bereich ist noch sehr ausbaufähig.
Denn gerade als Unternehmerin hat man die Möglichkeit, sich seine Zeit frei einzuteilen und Beruf und Familie zu seinen eigenen Bedingungen zu kombinieren – ohne Druck der Erwartungen des Arbeitgebers. Was sich auf jeden Fall bessern muss, sind die Förderbedingungen in Deutschland. Es werden vor allem technologieorientierte Gründer*innen gefördert. Wenn diese Branche männerdominiert ist, werden natürlich weniger Frauen gefördert. Zudem sitzen in den Entscheidungsgremien über Förderungen nur 12-29% Frauen. In vielen anderen Bereichen wird die Modebranche aber bereits diverser und das ist schön. Zum Beispiel was Ethnien, Körperformen und Schönheitsideale insgesamt angeht.
Ich glaube, dass es bei meinem Produkt sehr gut ist, dass ich so detailversessen und kreativ bin. Viele Männer, mit denen ich mich unterhalten habe, haben an irgendeinem Punkt gesagt „das Detail fällt doch keinem Kunden auf“ oder „mach doch die Flyer einfach nicht vegan“, aber ich war immer selbstbewusst genug, für meine Werte und meine Vorstellungen einzustehen. Und ich bin mir sicher, dass man diese Feinheiten beim Endprodukt durchaus wahrnimmt und wertschätzt. Auch fragen Männer nicht gerne um Hilfe. Ich scheue mich nicht davor, Menschen mit mehr Know-How um Hilfe zu bitten. Das ist ein klarer Vorteil und hat mich schon oft weitergebracht. Außerdem bin ich kommunikativ und es fällt mir leicht, mich mit anderen zu vernetzen. So konnte ich in den letzten zwei Jahren inspirierende Mentor*innen gewinnen und gleichzeitig viele Start-ups selbst als Mentorin unterstützen. Auch als Gründerin genießt man selbstverständlich einige Privilegien. Das Größte ist, dass ich mir mein Team selbst zusammenstellen kann, sodass im Resultat Frauen als Vorbild gelten dürfen. Darüber habe ich in meinem eigenen Unternehmen Entscheidungsfreiheit.
Melina Bucher mit ihrem Hund Elay.
Wenn etwas deine Leidenschaft ist, dann gehe dieser nach. Wenn du ein wertorientiertes, nachhaltiges Unternehmen gründen möchtest und dir die Menschen sagen, damit „scaled“ man nicht schnell genug und die Rendite ist nicht groß genug, lass dich nicht verunsichern. Nicht jedes Start-up muss über Nacht das Million-Dollar-Business werden, aber unabhängig davon, ob es das wird oder nicht, auch frauengeführte Unternehmen können das!
Es ist enorm wichtig, sich mit den richtigen Menschen zu umgeben. Männer „feiern“ ihre Erfolge und sich selbst gerne. Frauen unterstützen sich viel zu wenig! Viele Gründerinnen sind besonders streng mit sich selbst und trauen sich gar nicht, ihre Idee anderen zu erzählen, weil sie Angst haben, anzuecken. Ganz ehrlich? Ich will mit meinem Unternehmen die Fashion Branche nachhaltig verändern und Tierleid vermeiden, wen interessieren da die wenigen Personen im direkten Umfeld, die meine Visionen belächeln?
Umgebt euch mit Menschen, die an euch glauben, euch inspirieren und ein positives Mindset haben.
Feedback ist wichtig und muss ernstgenommen werden. Noch wichtiger ist es aber, dieses effektiv umzusetzen, anstatt sich davon unterkriegen zu lassen und frühzeitig aufzugeben. Ideen brauchen viel Zeit und noch mehr Energie. In einem leidenschaftlichen Projekt steckt sehr viel Arbeit und das sollte sich auch jeder bewusst machen. Wenn man etwas gerne macht, kommt es einem aber nicht unbedingt wie Arbeit vor. Solange man die richtige Intention vor Augen hat und sich nicht von dieser abbringen lässt, werden Erfolge entstehen.
Und zuletzt: Du wirst mit Klischees als Frau konfrontiert? Lerne damit zu spielen. Ich mache mir als blonde, geschminkte und gestylte Frau inzwischen einen Spaß daraus, dass Männer mich zu Beginn eines Gespräches unterschätzen. Denn in dem Moment, indem ich meine Expertise zeige, sind sie umso erstaunter. Es wäre schön, wenn das nicht nötig wäre, aber ich habe gelernt, es positiv zu nutzen.