Wissenschaftliche Erkenntnisse zu den häufigsten Fragen über Leder
Außergewöhnliches Design, durchdacht bis ins kleinste Detail - schon mein ganzes Leben liebe ich Designermode. Wenn ich früher Aufmunterung brauchte, schlenderte ich durch besondere Boutiquen. Doch als Tierfreundin stand ich vor einem großen Problem: alle Designer verwendeten Leder in ihren Kollektionen. Für mich war das allerdings keine Option. So begann die Reise des Labels Melina Bucher.
In den letzten drei Jahren habe ich viele Gespräche mit Kundinnen und anderen Unternehmer*innen zum Thema tierisches Leder geführt. Viele waren verunsichert, ob Leder denn die nachhaltigere Alternative sei. Und auch, wenn es für mich eine ethische Frage ist, kein Leder zu nutzen, möchte ich auf solche Unsicherheiten fundiert eingehen.
Als Wissenschaftlerin war ich neugierig und habe angefangen, mich tiefer mit der Thematik auseinanderzusetzen. Im folgenden Artikel beleuchte ich nun die fünf bekanntesten Mythen und Vorurteile über tierisches Leder. Viele der Informationen, die man im Internet findet, sind oberflächlich, irreführend oder schlichtweg falsch. Deshalb basieren die folgenden Informationen auf wissenschaftlichen Studien. Für alle Interessierten steht ebenfalls eine Download-Version mit Literaturangaben zu allen Quellen zur Verfügung.
“Leder ist ein Abfallprodukt der Fleischindustrie und nicht der Grund, warum Tiere getötet werden. Wieso sollte man es also nicht nutzen?” Dieses Argument höre ich immer wieder, vor allem von anderen Designern, die mit Lederprodukten arbeiten. In der Realität ist es nicht so einfach. Im Folgenden betrachte ich die Aussage aus einer ökonomischen und ökologischen Perspektive.
Aus ökonomischer Sicht stellt sich die Frage, ob Leder bzw. Kuhhäute tatsächlich ein reines Abfallprodukt oder ein gewinnbringendes Nebenprodukt darstellen. Studien zeigen, dass Nebenprodukte der Fleischindustrie zwischen 12-19% des Gesamtwertes einer Kuh ausmachen, wobei die Häute das mit Abstand wertvollste Nebenprodukt sind. Für Bauern bedeuten diese zusätzlichen Einnahmen durch den Verkauf der Nebenprodukte, dass für die Kuh ein höherer Preis erzielt werden kann. Dadurch kann der Preis von Fleisch subventioniert werden; Fleischpreise müssten also höher sein, wenn die Nebenprodukte nicht verkauft werden könnten. Die Wichtigkeit von Tierhäuten und Leder wird noch deutlicher, wenn man weltweite Handelsvolumina verschiedener Rohstoffe betrachtet: das weltweite Handelsvolumen mit Fleisch beträgt 29,2 Milliarden US Dollar, Leder und Häute werden im Wert von 28,5 Milliarden US Dollar gehandelt (davon entfallen 6.2 Milliarden US Dollar auf die Tierhäute). Der Handel mit Tierhäuten und Leder hat also fast die gleiche ökonomische Bedeutung wie der Handel mit Fleisch.
Was bedeutet das? Tierhäute und Leder umfassen ungefähr das gleiche Handelsvolumen wie Fleisch selbst. Wenn man die zusätzliche Wertschöpfung durch die Nebenprodukte betrachtet, wird klar, dass es eine starke Untertreibung ist, Tierhäute bzw. Leder als Abfallprodukt zu bezeichnen. Wenn man Vegetarier*in ist oder sich gegen die Ausbeutung von Tieren ausspricht, ergibt es aus ökonomischer Sicht Sinn, Lederprodukte zu vermeiden, damit die Nachfrage nach Produkten sinkt, welche die Fleischindustrie subventionieren.
Tierhäute und andere Nebenprodukte tragen mit 12-19% zum Gesamtwert einer Kuh bei. Sie sind ein wertvolles Nebenprodukt, nicht bloß Abfall.
Betrachtet man die ökologische Perspektive, glauben viele, Tierhäute werden direkt aus Schlachthäusern in der Nähe genutzt und direkt zu Leder verarbeitet. Die Realität ist eine andere: über 70% aller Häute und Leder werden in Entwicklungsländern produziert. China, Indien and Brasilien sind die größten Produzenten von Tierhäuten und tierischem Leder. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie begründet die hohen Produktionsvolumina in Entwicklungsländern mit den geringeren Lohnkosten und den nicht-existierenden bzw. geringeren ökologischen Mindeststandards in der Lederproduktion. Leder aus Deutschland wird dagegen vor allem in der Automobilindustrie genutzt. Drei Viertel des „italienischen“ und „spanischen“ Leders werden aus Entwicklungsländern importiert und in Europa lediglich veredelt. Ein Großteil der Tierhäute und des tierischen Leders wird während des Produktionsprozesses also einmal (oder mehrmals) durch die halbe Welt transportiert. Die Europäische Kommission betont, dass diese importierten Zwischenmaterialien mit Chemikalien, die innerhalb der Europäischen Union verboten sind, behandelt sein könnten. Durch den Reimport gäbe es dafür nur unzureichende Restriktionen, während die Prozesschemikalien ungehindert in europäische Wasserssysteme der Veredelungsländer gelangen.
Darüber hinaus muss für die Betrachtung, ob es aus ökologischer Sicht sinnvoll ist, die Tierhäute weiterzuverarbeiten, der zusätzliche Umwelteinfluss durch die Lederproduktion berücksichtigt werden.
Beim Vergleich von tierischem und synthetischem Leder liest man oft, dass Leder ein “Naturprodukt” ist und deshalb nachhaltiger sei. Dazu sei zunächst gesagt, dass nicht Leder, sondern Tiere und ihre Häute natürliche „Produkte“ sind. Um Tierhäute als textiles Material für Mode oder Polsterwaren nutzbar zu machen, muss die Verwesung der Tierhäute verhindert werden. Dieser Prozess, welcher oft als “Gerbung” bezeichnet wird, umfasst tatsächlich 20 bis 40 Prozessschritte. Ohne dabei zu sehr ins Detail zu gehen: die Häute müssen zunächst für den Transport von Anlage zu Anlage konserviert werden, alle übrigen Haare oder Fleischreste müssen durch chemische Prozesse entfernt werden, bevor die Häute (ein oder mehrere Male) gegerbt werden. Anschließend werden sie veredelt, z.B. beschichtet oder gefärbt.
Einzelne Schritte im Produktionsprozess von Leder mit Material- und Energieströmen (© Melina Bucher, basierend auf Europäische Kommission, 2013, S. 27)
Um Umweltauswirkungen von Produktionsprozessen zu untersuchen, greifen Wissenschaftler*innen auf Bewertungen entlang des Lebenszyklus (life-cycle assessment, LCA) zurück. LCA Studien bewerten alle Energie- und Materialströme innerhalb der Wertschöpfung und berechnen verschiedene potentielle Umweltauswirkungen. Beispielsweise werden Treibhausgasemissionen, Wasserverbrauch und Toxizität gemessen und bewertet.
Zahlreiche Studien belegen starke negative Umweltauswirkungen des Produktionsprozesses von Leder hinsichtlich Treibhausgasemissionen, Wasserverbrauch bzw. Wasserverknappung, Eutrophierung, Ressourcenerschöpfung und der Menge eingesetzter Chemikalien. Der gesamte Lederproduktionsprozess erzeugt Abwasser, welches Chemikalien enthält, biologisches Material sowie kontaminierte feste Abfälle. Zu den schädlichsten Abfallprodukten der Lederproduktion zählen starke Säuren, Pestizide und Chrom. Diese sind zum einen stark toxisch für den Menschen und können Arbeiter in Produktionsländern gefährden. Zum anderen können sie ohne ein effektives Abfall Management in das Grundwasser gelangen. Studien zeigen, dass in Entwicklungsländern, die einen Großteil des Leders produzieren, Abwasser nur unzureichend entsorgt wird oder unbehandelt und unkontrolliert in die Umwelt gelangt.
Um die Auswirkungen des Produktionsprozesses auf die Umwelt greifbarer zu machen: Um 1 kg gegerbtes Leder zu erhalten, werden 5 kg Tierhäute eingesetzt. Die restlichen 4 kg des Rohstoffes werden zu Abfall, welcher gehandhabt werden muss. Es bildet sich ca. 105 Liter Abwasser und 2,5 kg Chemikalien wird verbraucht. Die Energie, die man für die Herstellung von 1 kg Leder benötigt, ist vergleichbar mit dem Energiebedarf eines Zweipersonenhaushalts für fünf Tage. Die CO2 Emissionen sind vergleichbar mit einer 68 km Fahrt mit dem Auto.
Diese Zahlen unterschieden sich teilweise stark von Land zu Land, oder Gerberei zu Gerberei. Die hier aufgeführten Zahlen basieren auf einer Studie, die eine italienische Gerberei untersucht. Aufgrund strengerer EU Regularien im Vergleich zu Entwicklungsländern und der Berechnungsmethodik der Studie kann man davon ausgehen, dass der tatsächliche Durchschnittswert höher ausfällt. Die Studie enthält beispielsweise keine Umweltauswirkungen aus dem Futteranbau, der Tierhaltung, Schlachtung oder Produktion des Lederproduktes an sich. Dennoch wird verdeutlicht, wie viele Ressourcen benötigt werden, um dieses “natürliche” Material für die textile Anwendungen nutzbar zu machen.
Inputs und Outputs zur Herstellung von 1 kg Leder (© Melina Bucher)
Aber was ist mit vegetabil gegerbtem Leder? Die ökologischen Auswirkungen von Chrom- vs. vegetabil gegerbtem Leder sind noch nicht ausreichend erforscht, auch wenn viele Unternehmen die Nachhaltigkeit von vegetabil gegerbtem Leder bewerben. Vegetabil gegerbtes Leder eliminiert die Toxizität von Chrom, eine erste wissenschaftliche Studie stellt allerdings keinen signifikanten Unterschied bei der Höhe der Treibhausgasemissionen, Wasserverknappung und Energieverbrauch fest.
Die Umweltauswirkungen der Lederproduktion sind immens. Die nächste logische Frage lautet also: wie verhält sich die Höhe der Umweltauswirkungen im Vergleich zu anderen textilen Materialien? Synthetischem oder veganem Leder wird beispielsweise oft nachgesagt, dass es zwar ethischer, aber weniger nachhaltig als Leder tierischen Ursprungs sei.
Nach umfangreicher Recherche und Auswertung rund 30 wissenschaftlicher Studien ist mir keine LCA Studie bekannt, welche umfassend die Umweltauswirkungen von tierischem und synthetischem Leder vergleicht. Eine veröffentlichte Studie vergleicht die Produktion von synthetischen Schuhen mit Lederschuhen. Tierisches Leder verbraucht dabei die doppelte Energie im Vergleich zu Polyurethan (welches häufig als tierfreie Lederalternative verwendet wird). Eine weitere Studie zeigt, dass die CO2 Emissionen von tierischem Leder 6,5 mal so hoch wie die von synthetischem Leder sind.
Für eine Betrachtung verschiedener Umweltauswirkungen, wird in der textilen Branche häufig auf den HIGG Material Index zurückgegriffen. Trotz einiger methodischer Kritikpunkte ist der HIGG Material Index bisher das einzige Tool, welches verschiedene textile Rohmaterialien im Hinblick auf Umweltauswirkungen mit Hilfe eines indexierten Wertes vergleicht. Die Umweltauswirkungen von tierischem Leder sind laut HIGG Index insgesamt 5,5-mal so hoch wie die von synthetischem Leder.
Umweltbelastungen bei der Herstellung von tierischem Leder im Vergleich zu synthetischem Leder. Je höher die Zahl, desto schädlicher ist ein Material für die Umwelt. (© Melina Bucher, basierend auf dem HIGG Material Index)
Die Auswirkungen beziehen sich hauptsächlich auf die Weiterverarbeitung der Tierhäute; die Tierhaltung wird mit lediglich 3,6% und die Landnutzung gar nicht mit einbezogen. Vergleicht man dort alle textile Materialien, ist Leder auf Platz 3 der umweltschädlichsten Rohstoffe nach Seide und Wolle. Der Konzern Kering, bekannt für Marken wie Gucci und Saint Laurent, benennt Leder als den umweltschädlichsten Rohstoff ihrer Wertschöpfungskette, mit einer 5-mal höheren Umweltbelastung als Polyurethan.
In keiner Studie, die mir bekannt ist, wurde eine höhere Umweltbelastung bei der Produktion von synthetischem Leder gemessen. Auch wenn die Herstellung beider Materialien die Umwelt belasten, scheint synthetisches Leder aufgrund der Studienergebnisse die bessere Alternative zu sein – ohne die hohe Umweltbelastung der Tierhaltung und Landwirtschaft mit einzubeziehen. Da jedoch beide Materialien Fragen zur Entsorgung nach ihrer Nutzung aufwerfen, ist die nachhaltigste Wahl (wie bei allen Produkten): kaufe weniger, kaufe bessere Qualität und verlängere die Nutzungsdauer so weit es geht.
Biologische Abbaubarkeit ist ein weiteres Buzzword, das sich in letzter Zeit häufig im Marketing der Modebranche wiederfindet. Das führt dazu, dass der Begriff oftmals falsch oder irreführend verwendet wird. Deshalb gehen wir einen Schritt zurück und fragen uns: Was bedeutet überhaupt „biologisch abbaubar“? Um den Begriff besser zu verstehen, habe ich mich mit Chemikern unterhalten. Das Konzept ist simpel: ein Material gilt als biologisch abbaubar, wenn es Bakterien oder Pilze in der Umwelt gibt, die dieses Material „essen“ können. „Essen“ meint in diesem Zusammenhang, dass die chemischen Verbindungen, welche das Material zusammenhalten, getrennt werden können. Somit kann das Material in seine einzelnen chemischen Komponenten zersetzt werden. Dieser Prozess wird maßgeblich von Temperatur und Feuchtigkeit beeinflusst. Zudem spielt Zeit eine entscheidende Rolle: manche Materialien sind zwar theoretisch biologisch abbaubar, es würde jedoch hunderte Jahre dauern, bis sich das Material vollständig zersetzt hat.
Auf die Frage, ob ein Material biologisch abbaubar ist, gibt es also keine einfache ja / nein Antwort. Die Frage ist, ob es Bakterien bzw. Pilze gibt, die das Material abbauen können, wie lange das dauert und welche Umweltbedingungen notwendig sind, damit das Material zersetzt wird. Aus diesem Grund geben bestimmte Standards, wie beispielsweise die ISO-Normen in Deutschland, vor, in welcher Zeit und unter welchen Umweltbedingungen sich ein Material zersetzen muss, damit es als biologisch abbaubar gilt. Auf der anderen Seite bedeutet biologisch abbaubar nicht, dass das Material sich im Kompost des heimischen Gartens zersetzt; manche Materialien können nur unter Laborbedingungen zersetzt werden und müssten dazu entsprechend entsorgt werden.
Die Haut eines Tieres würde normalerweise nach dessen Tod verrotten, sich also zersetzen. Die Gerbprozesse wurden entwickelt, um die Kollagenverbindungen zu stabilisieren und diesen Verwesungsprozess zu verhindern. Nach dem Gerbprozess verwest die Haut nicht mehr und ist beständiger gegen Hitze und mechanische Einflüsse. Der gesamte Prozess der Lederproduktion wurde also entwickelt, um die biologische Abbaubarkeit des Materials zu verhindern. Darüber hinaus wird das Leder häufig mit synthetischen Materialien wie PU oder PVC beschichtet, um die Struktur glatter wirken zu lassen (um Wunden oder unregelmäßige Strukturen in der Haut des Tieres zu kaschieren), oder um seine physikalischen Eigenschaften zu verbessern (Beständigkeit gegen Wasser, Öl, Sonne). In Deutschland werden beschichtete Leder ohne Deklarationspflicht als Leder verkauft, wenn die Beschichtung unter 0,15 mm dick ist.
Die Haut eines Tieres würde normalerweise nach dessen Tod verrotten, sich also zersetzen. Gerbprozesse wurden speziell dazu entwickelt, um diese Verwesung zu verhindern. Abfälle aus der Lederproduktion enthalten eine hohe Konzentration an gefährdenden Chemikalien, die schwer biologisch abbaubar sind. Deshalb landen die Abfälle zumeist auf Deponien.
Um zur ursprünglichen Frage zurückzukehren: Ja, Tierhäute sind biologisch abbaubar. Für Leder muss man einen Blick auf die Tannine und andere Chemikalien im Produktionsprozess werfen. Zudem sind große Mengen des Abwassers und der festen Abfälle aus der Lederproduktion kontaminiert und nur schwer, oder überhaupt nicht biologisch abbaubar. Beispielsweise gilt Abfall, der Chrom enthält, als Gefahrstoff. Selbst unter idealen Laborbedingungen baut sich Chrom nicht weit genug ab, um laut EU-Richtlinien als ungefährlich zu gelten. Aufgrund der Beschaffenheit der Materialien, der technischen Machbarkeit und wirtschaftlicher Gründe, wird der in der Lederproduktion entstehende Abfall zumeist auf Deponien gebracht oder verbrannt. Die Entsorgung auf Deponien von festen Abfallstoffen wird allerdings zunehmend problematisch, da die Verfügbarkeit von Landflächen abnimmt. Zudem haben viele Länder Restriktionen gegen die Entsorgung von kontaminierten Abfällen mit Chrom, Pestiziden und anderen Chemikalien eingeführt. Der Großteil von fertigen Lederprodukten wird nach der Nutzung ebenfalls auf Deponien entsorgt oder verbrannt; die Recycling Optionen für Leder sind stark begrenzt. Eine Vielzahl von Forschungsartikeln beschäftigt sich deshalb mit Müllvermeidung bzw. Wiederverwertung in der Lederindustrie.Das System ist jedoch weit weg von einem zirkulären Prozess und biologische Abbaubarkeit ist nicht gegeben.
Viele Konsument*innen denken noch immer, dass der Kauf von Luxusprodukten ein Mindestmaß an „Tierwohl“ sichert, oder dass der Kauf von Lederprodukten, die bestimmte Standards erfüllen oder mit Siegeln gekennzeichnet sind, gute Haltungsbedingungen der Tieren garantieren. Der Lederstandard, den Modeunternehmen regelmäßig als den strengsten aufführen, ist der LWG-Standard der Leather Working Group. Dieser Mythos macht mich regelmäßig sprachlos, weil er von Unternehmen häufig proagiert wird. Hierbei handelt es sich um reines Greenwashing. Um es klar zu sagen: der LWG-Standard beinhaltet keinerlei Evaluationskriterien für die Tierhaltung oder die Schlachtung. Auf der Website der Leather Working Group kann man nachlesen, dass Landwirtschaft, Tierhaltung, Transport und Schlachtung in keiner Weise bei der Beurteilung berücksichtigt werden. Auch andere Textilstandards beinhalten nicht die Tierhaltung als solche, sondern lediglich die Prozesse der Lederherstellung ab Zukauf der Tierhäute.
Lederstandards, wie der bekannte LWG-Standard, kontrollieren die Gerbprozesse, nicht jedoch die Tierhaltung.
Wenn etablierte Modeunternehmen also darüber sprechen, “die anspruchsvollsten Standards für Tierwohl bei ihren Rohstoffen zu erfüllen” , “Nachverfolgbarkeit in ihrer gesamten Wertschöpfung sicherzustellen” oder sogar “Wellness für Tiere” zu ermöglichen und ihre Bemühungen mit dem LWG Standard messen, beinhaltet das in keiner Weise Standards für die Tierhaltung. Jede „Verpflichtung”, eine bestimmte Prozentzahl von zertifizierten Lieferanten in den kommenden Jahren zu erreichen und damit Mindeststandards für Haltungsbedingungen der Tiere zu sichern , ist also keine reale Verpflichtung.
Seit 2016 befindet sich ein Standard für „Tierwohl“ des Kering Konzern in Entwicklung. Tierhaltungsbedingungen werden jedoch bisher nicht kontrolliert. Die Informationen zum Anteil des Leders, dessen Ursprung sie bis zu den Lieferanten zurückverfolgen können, misst die Nachvollziehbarkeit nur bis zum Schlachthaus und nicht bis zum Bauern.
Sprich: selbst die marktführenden Luxuskonzerne haben Probleme, die Lieferkette ihrer Materialien nachzuvollziehen. Eine Rückverfolgung bis zu den Farmen, auf welchen die Tiere gehalten werden, ist bisher nicht umgesetzt. Alle Angaben, welche in Umweltberichten separat vom eigentlichen Geschäftsbericht gemacht werden, sind mit besonderer Vorsicht zu genießen, da sie nicht auditiert und von Wirtschaftsprüfern oder anderen Kontrollgremien überprüft wurden.