Die warmen Strahlen der Morgensonne durchleuchten die oberste Schicht der schneeweißen Baumwollknospe. Eine Frau schreitet anmutig durch das Feld und lässt dabei ihre Hand über die faserigen Schneebälle gleiten, ihre Hand fast so zart wie die weichen Knospen der Pflanze. Ein Bild von Arbeitern, oder Kameraden. Arm in Arm strahlen sie in die Kamera. Ohne, dass sie es hätten aussprechen müssen sagt ihr Lächeln, dass sie hier in Einklang mit der Natur ihrer tiefsten Freude nachgehen. Die gelebte Idylle, zumindest auf Webseiten von großen Unternehmen der Modebranche und anderen Industrien. Nachhaltigkeitsberichte zeichnen ein Bild von großen Fortschritten des Unternehmens und einer noch besseren Zukunft. Doch dieses Bild bekommt regelmäßig Risse durch externe Berichte über unzureichende Arbeitsbedingungen, den Einsatz von umweltschädlichen Chemikalien und falschen Versprechen. Vorwürfe von „Greenwashing“, einer PR Taktik, welche ein Unternehmen als umweltbewusst darstellt, ohne dass eine Faktenlage hinter dieser Behauptung stehen würde, häufen sich. Bei dem Vormarsch von Nachhaltigkeitsthemen ist es nicht verwunderlich, dass sich jedes Unternehmen um ein grünes Image bemüht. Doch gerade weil man in der heutigen Zeit das Thema Umweltschutz nicht außer Acht lassen kann, wird es immer schwerer zwischen Unternehmen zu unterscheiden, die die Maxime „going green“ gewissenhaft verfolgen und jenen, die lediglich unbequeme Wahrheiten aus ihrem Geschäftsmodell gewaschen haben. Die Praxis des „Reinwaschens“ wurde bereits 1986 von Jay Westerveld kritisiert und bezog sich zunächst wortwörtlich auf das Waschen. Genauer gesagt auf eine damals neue, heute weitverbreitete Praxis von Hotels, ihre Gäste zu beten, Handtücher zum Schutz der Umwelt nicht nach einmaliger Nutzung vom Personal reinigen zu lassen. Dieser Appell stieß dem Aktivisten Jay Westerveld sauer auf, da Hotels eher auf die Ersparnis der Reinigungskosten bedacht seien und dies durch einen vermeintlichen Wunsch des Umweltschutzes, den Gästen des Hotels akzeptabel erscheinen ließen1. Die Bedeutung des von Jay Westerveld erschaffenen Begriffs „Greenwashing“, hat sich bis heute stetig erweitert und bildet nun komplexe Strategien ab, mit denen Unternehmen versuchen ihrem Image einen modischen grünen Anstrich zu verpassen.
Vorzugeben grüner zu sein, als man eigentlich ist, kann sehr anstrengend und zeitintensiv sein. Warum bemühen sich also Unternehmen bewusst um ein grünes Image und veröffentlichen sogar aufwendige Nachhaltigkeitsberichte? Ein Argument könnte die Bildung einer neuen kritischen Konsumentengruppe, der sogenannten „LOHAS“ sein. Der Name dieser neuen Käufergruppe ist eine Abkürzung für „Lifestyle of Health and Sustainability“ und steht somit für die Einstellung eines bewussten und nachhaltigen Lebens. Dass es gemessen an der aufsteigenden Popularität von grünen Themen, diese neue Käufergruppe zu erreichen gilt, ist bei einem geschätzten Marktpotenzial von 200 Milliarden Euro pro Jahr selbstverständlich.1 Deshalb bietet es sich an, mit Hilfe verschiedener Methoden wie Greenwashing, das soziale und nachhaltige Bewusstsein des Unternehmens besser darzustellen als es eigentlich ist oder sogar gänzlich zu verzerren. Denn selbst wenn ein potenzieller Konsument nicht zu den „LOHAS“ gehört: Es fühlt sich gut an, etwas zu kaufen mit dem man sich selbst und sogar scheinbar der Umwelt etwas Gutes tut.
The map shows the individual production steps with the corresponding transport routes of your shirt: these include the growth of the raw materials which are spun into yarns, made into fabric panels, sewn and finished. Keep in mind, every step takes place in a different region!
Überproportionale Darstellung von positiven Aspekten
Um den Eindruck eines grünen Labels zu erwecken, setzen einige Unternehmen eine Vielzahl von Methoden ein, die von einer beschönigten Darstellung von Tatsachen, bis hin zur bewussten Irreführung des Konsumenten reichen.
Beliebt ist dabei das Engagement des Unternehmens in Nachhaltigkeitsthemen überproportional und positiv darzustellen. Dabei werden keine direkten Falschaussagen getätigt, sondern der tatsächliche Einfluss von Maßnahmen des Unternehmens größer dargestellt, als er eigentlich ist. Ein Beispiel hierfür ist die Angabe von verwendeten Rohstoffen in einem Produkt. Häufig werben Firmen dafür, dass ein Teil der verwendeten Rohstoffe aus Bio Baumwolle oder recyceltem Polyester bestehen. Die Aufmerksamkeit wird dabei bewusst auf den nachhaltigen Anteil der Rohstoffe gelenkt, auch wenn dieser bedeutend geringer ist, als der noch verwendete nicht nachhaltige Teil der Materialien. Oftmals wird auch mit einmaligen Aktionen, wie zum Beispiel dem Pflanzen von Bäumen oder nachhaltigen Kollektionen geworben. Die überproportionalen Darstellungen dieser Aktionen erwecken den Anschein eines konstanten Engagement des Unternehmens, auch wenn dieses nur einmalig war.
Abseits der Modeindustrie, werden auch manchmal absolute Standards, wie zum Beispiel der gesetzlich vorgeschriebene Verzicht auf den umweltschädlichen Stoff FCKW, als innovativ beworben.
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Verwendung von rechtlich nicht geschützten Begriffen und positiver Sprache
Oft werden diese verzerrten Darstellungen mit positiv konnotierten Begriffen wie „nachhaltig“ oder „umweltschonend“ kombiniert. Auch wenn diese Ausdrücke ein bestimmtes Bild in uns hervorrufen, gibt es keine rechtliche Regulierung dafür, wer sich als „nachhaltig“ bezeichnen darf. Konkret bedeutet das, dass die Verwendung von rechtlich nicht geschützten Begriffen keine Aussagekraft über tatsächliche Herstellungsbedingungen hat, da keine Kontrolle diesen Behauptungen folgt. Kurz gesagt: Jeder darf sich nachhaltig oder umweltschonend nennen. Weiterhin wird sich auf sprachlicher Ebene bemüht, möglichst positive Ausdrücke zu verwenden.
Weil Begriffe „nachhaltig“ eben nicht gesetzlich geregelt ist, nehmen Unternehmen verschiedene Gründe zum Anlass, warum sie sich als nachhaltig bezeichnen. Dazu gehört beispielsweise der Einsatz von recyceltem Plastik im Versand, das Verwenden eines Anteils ressourcenschonender Materialien, oder andere Maßnahmen, die einen mehr oder weniger großen Einfluss auf die Umweltbilanz des Unternehmens haben.
Dazu werden bereits verbrauchte, negativ konnotierte Begriffe vermieden. Stattdessen werden neue und aufregend klingende Begriffe verwendet, wie zum Beispiel der Begriff „Biotechnologie“ statt dem medial ausgeschlachteten Ausdruck „Gentechnologie“.
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Verwendung von verwirrenden Siegeln
In die Reihe dieser Maßnahmen fügt sich auch die Verwendung von Siegeln ein. Zunächst sollen Siegel für Konsument*innen einen schnellen Überblick über Herstellungsbedingungen und Eigenschaften des Produkts bieten. Durch die Vielzahl an Siegeln und ihrer verschiedenen Aussagekraft, wird statt dem Ziel der Übersichtlichkeit oft der gegenteilige Effekt erreicht. Dieser Umstand wird gerne von Anwendern von Greenwashing genutzt, da Siegel eine gewisse Seriosität ausstrahlen, Konsument*innen die konkrete Bedeutung des Siegels aber häufig nicht kennen. Siegel mit geringer Aussagekraft über die tatsächliche Nachhaltigkeit eines Produktes, oder Zertifikate die überhaupt nicht genutzt werden dürften, werden deshalb oft auf der Webseite abgebildet. Einige Unternehmen gehen sogar einen Schritt weiter und führen eigene Siegel ein, deren Aussagekraft nicht einschätzbar ist, da die Angaben, Prüfmethoden und Bewertung nicht von unabhängigen Instituten stammen.
Selbstveröffentlichte Nachhaltigkeitsberichte
Um den Webauftritt von Unternehmen grüner zu gestalten, werden Nachhaltigkeitsberichte des Unternehmens und Mitgliedschaften in Organisationen gerne publik gemacht. Wie schon zuvor kann Nachhaltigkeitsberichten nicht immer eine hohe Aussagekraft zugemessen werden, da wie bei Siegeln aus dem eigenen Hause, meist kein unabhängiges Institut dahinter steht. Da Umweltberichte häufig gesondert von Finanzberichten veröffentlicht werden, unterliegen sie auch keiner Kontrolle von Wirtschaftsprüfern. Auch Mitgliedschaften in verschiedenen gemeinnützigen Organisationen, müssen keinen großen Aussagewert über das Engagement eines Unternehmen haben. Jeder der in der Schule eine Gruppenarbeit machen musste, weiß warum.
Irreführende Bilder
Passend zu der umweltpositiven Sprache werden häufig Bilder präsentiert, die glückliche Tiere, grüne Wiesen und zufriedene Arbeiter zeigen. Nicht immer müssen diese Bilder tatsächliche Produktionsverhältnisse zeigen, oder gar in irgendeinem Zusammenhang mit dem Unternehmen stehen. Trotzdem rufen diese Bilder bei dem potenziellen Konsumenten eine klare Vorstellung darüber hervor, wie das Unternehmen abseits ihrer Webseite agiert. Assoziationen wie diese können allerdings irreführend sein und in ihrer Gesamtheit dazu verführen, als Konsument nicht hinter das von Unternehmen idyllisch gezeichnete Bild zu blicken.
Allgemeine Präsenz der Unternehmen
Oftmals wenden sich Unternehmen an Schulen, um Bildungsprogramme, wie zum Beispiel eine Umwelterziehung, anzubieten. Dabei wird das Engagement der Unternehmen in Nachhaltigkeitsthemen häufig als sehr positiv dargestellt. Lohnenswert an diesen Bildungsprogrammen ist, dass mindestens der Name des Unternehmens bekannter wird und bestenfalls mit den Schüler*innen eine neue Konsumentengruppe erschlossen wird. In aller Munde zu bleiben, ist auch häufig das Motiv hinter großen Bekanntgaben von Unternehmen, die in Wirklichkeit nur eine geringfügige Auswirkung haben, oder gar erst in Planung sind. So werden zum Beispiel nachhaltige Kollektion großer Textilunternehmen ausgiebig präsentiert, obwohl sie vielleicht nur aus geringen Stückzahlen bestehen und limitiert sind, oder ein unverkäufliches Pilotprojekt ist.
1. Achte auf eine positiv klingende Wortwahl – nicht alles ist aussagekräftig!
Begriffe wie „nachhaltig“, oder „umweltfreundlich“ sind nicht gesetzlich geschützt und besitzen daher keine Aussagekraft über tatsächliche Produktionsstandards! Vorsicht ist auch bei den Begriffen „Bio“ und „Öko“ geboten. Diese Bezeichnung sind gesetzlich nur für die Ausgangsstoffe eines Kleidungsstücks geschützt, aber nicht für das fertige Endprodukt. Die Bezeichnung „Bio Baumwolle“ darf nur von Herstellern verwendet werden, die nach den Richtlinien des ökologischen Landbaus wirtschaften.1 Achte darauf ob aussagekräftige Siegel die Behauptungen unterstützen, oder das Unternehmen näher erklärt, warum es sich als nachhaltig bezeichnet und dies auch an konkreten Maßnahmen festmachen kann.
2. Vorsicht bei Siegeln!
Nicht jedes verwendete Siegel verrät dir mehr über die Arbeitsbedingungen, das Material , den Umwelteinfluss oder die Produktionsstandards des Labels. Hinter vielen Siegeln verbergen sich unsichere Zertifizierungsmaßnahmen, oder sie sagen nichts über dein Kleidungsstück aus. Ein Siegel, welches die Sicherheit der Arbeiter zertifiziert, sagt auch nur dies aus, auch wenn eine Marke das Siegel fehlinterpretiert und es als Beweis für die eigene Nachhaltigkeit anführt. Genauso sind markeninterne Siegel oftmals nicht aussagekräftig, da sie nicht von externen Organisationen geprüft werden. Verlässlich sind Siegel wie das GOTS Siegel, Fairtrade Textile Production Siegel und die Blue Sign Zertifizierung. Portale wie siegelklarheit.de bieten dir zudem einen schnellen Überblick über aussagekräftige Zertifikate für verschiedene Branchen!
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3. Lasse dich nicht von positiven Bildern beeinflussen!
Wie bereits erwähnt müssen positive Bilder auf den Webseiten der Unternehmen nicht unbedingt die Realität abbilden. Achte daher darauf, ob die Bilder tatsächliche Produktionsorte zeigen und diese auch verorten, oder ob die Bilder lediglich zum Greenwashing beitragen. Durch die Google Rückwärtsbildsuche kannst du herausfinde, ob das Bild schon einmal verwendet wurde.
4. Sei kritisch gegenüber Nachhaltigkeitsberichten und möglicher PR Arbeit
Da Nachhaltigkeitsberichte häufig auf unternehmensinternen Messungen und Untersuchengen beruhen, ist genauso wie bei markeninternen Labels Vorsicht geboten. Überprüfe daher, ob die Nachhaltigkeitsberichte die Daten transparent darstellen und auch Verbesserungspotentiale evaluiert werden und eventuell von externen Organisationen geprüft und bewertet wurden, Hinterfrage außerdem genau, ob die mediale Berichterstattung über etwaige Projekte tatsächlich auch die reale Umsetzung von diesen abbildet.
5. Behalte das Gesamtbild im Auge!
Beobachte genau, ob deine Lieblingslabels Informationen nur selektiv herausgeben und ob kritische Nachfragen beantwortet werden. Vergleiche dabei mehrere Quellen und hinterfrage das Gesamtbild der Marke. Tools wie der Fashion Revolution Index können Anhaltspunkte bieten, ob das Unternehmen Produktionsstandards offenlegt. Das Portal „Good on you“ bietet außerdem eine App, die die Nachhaltigkeit und das soziale Engagement vieler Brands übersichtlich bewertet. Kleinere Marken sind jedoch häufig noch nicht bei diesen Portalen gelistet und können sich teure Zertifizierungen nicht leisten. Dafür beantworten kleinere Brands öfter persönliche Anfragen und werden in Nachhaltigkeitsblogs gelistet. Frage dich allgemein, ob das Unternehmen ein konstantes Engagement zeigt, oder ob einzelne Kollektionen oder Aktionen lange Zeit exzessiv beworben werden. Überprüfe mit den oben genannten Punkten also genau, ob dein Lieblingslabel ihren Behauptung Folge leistet, oder lediglich Greenwashing betreibt.
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Als Jay Westerveld 1986 die Handtuchpolitik von Hotels kritisierte, konnte er noch nicht ahnen, dass sein Begriff „Greenwashing“ zu einem Leitbegriff des kritischen Konsums werden sollte. Von dem ikonischen Begriff leiten sich mittlerweile viele Abwandlungen ab, wie zum Beispiel das „Bluewashing“1, welches ein soziales Engagement eines Unternehmens vorgibt, oder das „Pinkwashing“, womit Unternehmen zumeist für Werbezwecke die Unterstützung der LGBTQI+ Community vorgeben. Eins hat Jay Westerveld mit seiner Kritik schon 1986 aufgefasst: Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind essentielle Themen der Zukunft, denen sich kein Unternehmen mehr so leicht entziehen kann. Daher ist es auch nicht überraschend, dass Unternehmen zunehmend nach der Maxime „going green“ wirtschaften wollen. Wie bei vielen Dingen bleibt dabei allerdings nicht aus, dass einige die zeitintensive Verantwortung für eine nachhaltige Zukunft nicht aus eigenem Antrieb heraus angehen wollen, sondern stattdessen Marketingmethoden wie Greenwashing verwenden. Übertriebene Darstellungen, bewusst gewählte Worte und scheinbare Zertifizierungen tragen dazu bei, Konsument*innen einen grünen Anschein zu vermitteln. Da Konsumentengruppen wie die „LOHAS“ Zielpunkte von Greenwashing darstellen, sind kritisches Hinterfragen und bewusste Kaufentscheidungen essentiell, um Industrien zu einem tatsächlichen grünen Weg zu bewegen. Mithilfe unseres Guides kannst du dazu beitragen Greenwashing aufzudecken und stattdessen Marken zu unterstützen, die eine nachhaltige Vision haben und langlebige Produkte anbieten.
Ulrich Müller: Greenwash in Zeiten des Klimawandels. Wie Unternehmen ihr Image grün färben, Köln 2007.
Die Studie ist online verfügbar
Peter Seele: Is Blue the new Green? Colors of the Earth in Corporate PR and Advertisement to communicate Ethical Commitment and Responsibililty, Essen 2007.
Der Artikel ist hier zu lesen
Sebastiao Vieira de Freitas Netto et al. : Concepts and forms of greenwashing. A systematic review, Springer Verlag 2020.
Fenzel, Viktoria: CSR in der Modebranche. Anspruch und Wirklichkeit von Corporate Social Responsibility in der Textilindustrie, Hamburg 2018.
Greensurance Artikel über Siegel und ihre Aussagekraft ,zuletzt überprüft 05.07.2021
Siegelklarheit, eine Webseite um Siegel zu überprüfen ,zuletzt überprüft 05.07.2021
Artikel, der die Problematik des Begriffs 'organic' erklärt ,zuletzt überprüft 05.07.2021