Vegan Leather Guide Teil 1: Pilzleder und andere Monomaterialien
Was ist eigentlich veganes Leder? Alles über Pilzleder, Reishi, Mylo und Co.
Tierleder gehört zu einem der ältesten vom Menschen verwendeten Materialien und galt eine lange Zeit als gesellschaftliches Statussymbol. Heute ist dieses Material nicht mehr zeitgemäß. Die öffentliche Meinung hat sich hinsichtlich der Herstellung herkömmlichen Leders stark verändert. Der Grund: das wachsende Bewusstsein bezüglich der Grausamkeit der Massentierhaltung, der sozialen Bedingungen bei der Herstellung und des Ressourcenverbrauches. Gemäß dem HIGG Index, welcher verschiedene textile Materialien hinsichtlich ihrer Umweltauswirkungen vergleicht, ist tierisches Leder das drittschädlichste Material überhaupt. Konsumenten sehnen sich zunehmend nach Alternativen, weshalb auch die Modeindustrie umdenken muss.
Die Folge: Alternativen zu tierischem Leder erobern zunehmend den Markt. Viele Brands, darunter auch Luxusmarken wie Gucci oder Sportartikelhersteller wie Adidas, launchen Produkte aus nicht-tierischem Leder und tun es damit Stella McCartney gleich, die schon seit der Gründung ihres Labels im Jahr 2001 vegane Leder für ihre Kollektionen verwendet. Laut des Marktreports von Infinium Global Research vom Februar 2021 wird der globale Markt für veganes Leder im Prognosezeitraum von 2020 bis 2026 voraussichtlich eine jährliche Wachstumsrate (CAGR) von 48,1 Prozent erreichen.
Bei der Vielzahl an neuen Materialien, die jährlich auf den Markt kommen, ist es schwer, den Überblick zu behalten. Auch ist die Berichterstattung die verschiedenen synthetischen und pflanzenbasierten Alternativen betreffend oft ungenau, irreführend oder schlicht Greenwashing. Nicht jedes nicht-tierische Leder ist auch gleichzeitig ein veganes Leder, da unter Umständen auch Materialien aus Tieren – wie Kleber und Farbe – verwendet werden könnten. Auch hat nicht jedes vegane Leder dieselben Eigenschaften und Umweltauswirkungen, da sich die Herstellungsarten stark unterscheiden.
Wir beobachten den Markt als Label, das sich auf veganes Leder spezialisiert hat, natürlich ganz genau und testen unentwegt die Neuentwicklungen. In der folgenden Artikelreihe wollen wir deshalb Ordnung schaffen, den herrschenden Definitions-Wirrwarr entwirren und einen Überblick über die verschiedenen Lederarten geben. In Teil 1 unseres Vegan Leather Guides beleuchten wir zunächst Monomaterialien – dazu gehören tierisches Leder sowie neue Materialentwicklungen aus Myzel oder Kollagen.
Apfelleder? Ananasleder? Was bedeutet das eigentlich genau? Erfahre mehr über beschichtete Materialien in Teil 2 unseres Vegan Leather Guides. Ganz am Ende des Artikels findet ihr außerdem eine Übersichtstabelle mit den wichtigsten Merkmalen der bekanntesten veganen Leder.
Herstellung: Bevor wir die verschiedenen veganen Leder näher beleuchten, kurz zurück zum Ursprungsprodukt: Tierisches Leder wird in Artikeln noch immer noch als „Naturprodukt“ bezeichnet und veganes Leder für seine ethische Überlegenheit zwar gelobt, hinsichtlich der Nachhaltigkeit jedoch kritisiert.
Tierisches Leder gehört zu den sogenannten Monomaterialien und wird aus den Häuten von Tieren hergestellt. Die Haut der Tiere wird zuerst konserviert, dann eingeweicht, um sie zu säubern und zu rehydrieren. Danach werden Bestandteile wie Haare oder Fleisch entfernt. Anschließend wird die Tierhaut entkälkt, gebeizt und entfettet. Dann wird die Haut in einem aufwendigen Prozess gegerbt, weiterbearbeitet und später meist eingefärbt. Nach ca. 20-40 Prozessschritten ist das Ergebnis dann ein robustes, relativ flexibles und wasser- und schmutzabweisendes Material.
Performance: Mit dem „Naturprodukt“ Tierhaut hat das Endprodukt also relativ wenig zu tun. Im Gegenteil: jeder dieser Schritte ist darauf ausgelegt, ein biologisches Material davon abzuhalten, sich zu zersetzen und es möglichst lange haltbar zu machen. Zudem wird tierisches Leder oft, – wenn nicht sogar zumeist – mit Polyurethan oder anderen synthetischen Materialien beschichtet, um Unebenheiten in der Struktur auszugleichen und es haltbarer gegen Feuchtigkeit und Nässe zu machen. Betrachtet beim Einkauf das Leder etwas genauer: Ist die Narbung an jeder Stelle des Produktes identisch und einheitlich, kann es gut sein, dass das Material beschichtet ist. Eine Beschichtung bis 0,15 mm ist nicht deklarationspflichtig, das Material darf also immer noch Leder genannt werden.
Über 70 % der Tierhäute werden in Entwicklungsländern verarbeitet, bei denen aufgrund mangelnder Abwassersysteme die gesundheitsgefährdenden Abfälle in das Grundwasser gelangen können.
Nachhaltigkeit: Auch was die Umweltbelastung betrifft, schneidet tierisches Leder schlecht ab: Die Häute müssen durch die Gerbung erst als textile Ware nutzbar gemacht werden. Würden die Häute nicht mit den oft toxischen Chemikalien wie Chrom bearbeitet, würden sie verwesen und für die Weiterverarbeitung unbrauchbar. Während des Herstellungsprozesses wird enorm viel Wasser verbraucht und hohe CO2-Emissionen verursacht. Es entstehen umweltschädliche, biologisch nicht abbaubare Abfallprodukte.
Entsorgung: Auch nach der Nutzung ist die biologische Abbaubarkeit der meisten tierischen Leder stark eingeschränkt und Recycling ist technologisch nicht möglich oder wirtschaftlich nicht rentabel. Tierisches Leder wird deshalb derzeit entweder deponiert oder verbrannt.
Inputs und Outputs bei der Herstellung von 1 kg Leder (© Melina Bucher)
Mehr zum Thema tierisches Leder findet ihr in unserem ausführlichen Artikel "Die 5 bekanntesten Mythen über tierisches Leder".
Einige Unternehmen entwickeln Materialien, die die Tierhaut als Rohstoff im Lederprozess imitieren. Diese können anschließend entweder durch mechanische oder chemische Prozesse haltbar gemacht und in ihren physischen Eigenschaften angepasst werden. Hierzu werden zellulosehaltige Materialien, Kollagen oder Biomasse von Pilzen eingesetzt. Dabei ist das Ziel, tierische oder synthetische Rohstoffe durch biologische zu ersetzen. Einige dieser Innovationen stellen wir im Folgenden näher vor.
Herstellung: Bei der Herstellung von „Pilzleder“ aus Myzel werden Pilzzellen zu Myzel, einer netzartigen biologischen Masse herangezüchtet. Myzele sind Strukturen des Pilzes, die meistens unterirdisch wachsen und deshalb weniger bekannt sind als der oberflächliche Pilzkörper. Das Myzel ergibt eine schaum-artige Matten, die sich anschließend in chemischen und mechanischen Prozessen zu einem lederartigen Material verarbeiten lässt.
Querschnitt Myzelleder (© Melina Bucher)
Performance: Das Unternehmen MycoWorks, welches unter dem Produktnamen Reishi Myzelleder herstellt, hat umfangreiche Tests zu Materialstärke, Langlebigkeit und Farbechtheit in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse zeigen, dass das Myzelleder ähnliche Eigenschaften wie tierisches Leder aufweist. Das Material „Reishi High Strength“ übertrifft tierisches Leder sogar mit seiner Performance – hier wurden ein Polyesterträger und eine Beschichtung aufgetragen.
Nachhaltigkeit:Die Unternehmen MycoWorks und BoltThreads nutzen Sägespäne, die als Abfallprodukt in der Forstwirtschaft anfallen, um Myzel wachsen zu lassen. Dabei können die schaumartigen Matten in 4-9 Tagen hergestellt werden. Da das Myzel in einem natürlich biologischen Prozess wächst und kein Licht zum Wachstum benötigt, sollten die Umweltauswirkungen entsprechend gering sein. Pilze nehmen beim Wachstum CO2 auf und speichern dieses, dementsprechend ist der Vorgang CO2-neutral. Die anschließende Verarbeitung der Matten zu Leder verbraucht Ressourcen – hier kommt es auf die ausgewählten Prozesse der Hersteller an. BoltThreads gibt beispielsweise an, dass sie mit Ledergerbereien zusammenarbeiten, die besondere Anforderungen erfüllen müssen. Nähere Informationen sind allerdings nicht öffentlich zugänglich.
Entsorgung: Myzel ist ein natürliches, biologisch abbaubares Material. Um die biologische Abbaubarkeit bzw. Recyclingfähigkeit des Endproduktes zu beurteilen, kommt es auf die eingesetzten chemischen Prozesse oder ggf. genutzte Farben und Beschichtungen an. Auch hier fehlt es noch an Informationen.
Einsatz in der Modebranche: Bolt Threads, das Unternehmen, welches das Myzelleder Mylo entwickelt, hat nach 4 Investmentrunden ca. 218 Millionen USD eingesammelt. Zudem ist Mylo Teil eines Konsortiums mit Adidas, Kering, Lululemon und Stella McCartney. Stella McCartney hat auf der Paris Fashion Week erstmals eine Tasche aus Mylo auf dem Runway gezeigt. Erste Produkte sollen „bald“ gelauncht werden. Außerhalb des Konsortiums ist das Material bisher jedoch noch nicht zugänglich.
Das Unternehmen MycoWorks, welches sein Pilzleder unter dem Namen Reishi vertreibt, befindet sich noch in der Entwicklung und vertreibt sein Leder bisher noch nicht. So spannend das Material aus ethischen und nachhaltigen Gesichtspunkten also klingt, müssen wir uns bis zur Markteinführung noch gedulden!
Schaumartige Matten aus Myzel (links) und fertiges veganes Leder Mylo (rechts) (© Bolt Threads)
Herstellung: Muskin ist ein Leder, welches aus den Kappen des Phellinus ellipsoideus hergestellt wird. Nach der Gewinnung werden die Kappen in dünne Scheiben geschnitten und anschließend in chemischen und mechanischen Verfahren ähnlich wie Tierleder behandelt. Jedoch lässt sich das Leder derzeit nur in kleinen Mengen herstellen werden, weshalb es sich nicht für sehr gut für industrielle Zwecke eignet.
Querschnitt MuSkin Pilzleder (© Melina Bucher)
Performance:Muskin hat besondere Eigenschaften wie eine antibakterielle Wirkung und ist feuchtigkeitsregulierend. Der Hersteller selbst gibt an, dass das Material nicht die mechanischen Eigenschaften von tierischem Leder besitzt. Es kann allerdings mit Trägermaterialien oder Wachsen kombiniert werden, um die Eigenschaften zu verbessern.
Nachhaltigkeit:Der Pilz zur Herstellung von Muskin wird in der Natur geerntet. Der Hersteller gibt an, dass das Material ohne toxische Substanzen behandelt wird und plastikfrei ist. Weitere Angaben über die Umweltauswirkungen des Herstellungsprozesses ließen sich nicht ermitteln.
Entsorgung:Da das Material vollkommen natürlichen Ursprungs ist, sollte es biologisch abbaubar sein. Das kann sich aber ändern, je nachdem, ob und wie es mit Trägermaterialien verbunden wird bzw. welche Waxe und Farben eingesetzt werden.
Einsatz in der Modebranche: Muskin wird in Italien von Grado Zero Innovation hergestellt. Es lässt sich derzeit nur in kleinen Mengen von 40-50 Stück pro Monat produzieren, weshalb es sich nicht für industrielle Zwecke, sondern für besondere Einzelstücke eignet. Zudem wird es nicht in Laufmetern, sondern nur in einzelnen Stücken hergestellt – man ist also ähnlich wie bei Tierleder von der Größe des Pilzes abhängig.
Muskin Veganes Pilzleder (© Life Materials)
Modern Meadow, ein Biotech-Startup aus den USA, geht einen anderen Weg: Es entwickelt Kollagen – den Grundbaustein von Tierhaut – direkt im Labor. Zu Beginn der Entwicklung wurden dafür Hautzellen im Labor gezüchtet. Inzwischen wird in einem Fermentationsprozess ein bestimmter Hefestamm mit Zucker gefüttert, welche direkt Kollagen produziert.
Der Vorteil: Während traditionelle Lederproduktions-Prozesse darauf ausgelegt sind, von der Tierhaut alle Stoffe zu entfernen, die nicht aus Kollagen bestehen, wird bei Modern Meadow direkt das Kollagen produziert. Im Anschluss kann der Rohstoff genauso verarbeitet werden, wie man es aus der Lederindustrie kennt, – weshalb man auf bisherige Verarbeitungstechniken zurückgreifen kann, – nur eben ohne Tiere. Das Unternehmen hat im April seine dritte Finanzierungsrunde mit 130 Millionen USD Investmentvolumen abgeschlossen. Das Material befindet sich noch in der Entwicklungsphase und ist bisher nicht für Designer oder Endkonsumenten erhältlich.
Neben den Monomaterialien, die in diesem Artikel näher betrachtet wurden, gibt es eine Vielzahl von beschichteten Materialien – also Materialien, die aus einem Träger wie Baumwolle und einer oder mehreren Beschichtungen bestehen – welche anstelle von tierischem Leder eingesetzt werden. Alle Infos zu Materialien wie Apfelleder, Kaktusleder oder Ananasleder findet ihr in unserem zweiten Teil des Vegan Leather Guides.
Im Folgenden findest du einen ausführlichen Vergleich der bekanntesten veganen Leder basierend auf wissenschaftlicher Forschung. Wo noch keine wissenschaftlichen Daten vorliegt, haben wir dies entsprechend gekennzeichnet. Für die Bewertung der Performance haben wir Unternehmensinformationen sowie unsere eigenen Erfahrungen mit den Materialien einbezogen.
Vergleich der bekanntesten veganen Leder (© Melina Bucher)