Vegan Leather Guide Teil 2: Beschichtete Materialien
Let's get juicy: Alles ĂŒber Apfelleder, Kaktusleder, Ananasleder und Co.
Der Markt fĂŒr Lederprodukte ist im Umbruch â gefragt sind heute insbesondere In-novationen, die den Versuch unternehmen, fossil basierte Polymere durch biogene und vollstĂ€ndig biologisch abbaubare Materialien zu ersetzen. Eine Vielzahl an etablierten Unternehmen, vor allem aber Startups, entwickeln diese neuen Materia-lien. Besonders beliebt sind âpflanzenbasierteâ Lederalternativen. 2021 launchte z. B. Karl Lagerfeld gemeinsam mit Ambre Valletta eine Accessoire-Kollektion aus âKaktuslederâ des Unternehmens Desserto aus Mexiko.
Doch was bedeutet eigentlich Pflanzenleder? Sind Ananasleder, Apfelleder und Kaktusleder wirklich so nachhaltig, wie der Name vermuten lĂ€sst? Nachdem wir im Vegan Leather Guide Teil 1 tierisches Leder sowie vegane Monomaterialien nĂ€her beleuchtet haben, klĂ€ren wir nun ĂŒber die verschiedenen Arten von beschichteten Materialien auf. Ganz am Ende des Artikels findet ihr auĂerdem eine Ăbersichtstabelle mit den wichtigsten Merkmalen der bekanntesten veganen Leder.
Herstellung: Synthetisches Leder besteht in der Regel aus einem textilen TrĂ€ger, der mit zwei oder mehr synthetischen Polymerschichten ĂŒberzogen ist. Als TrĂ€germaterialien kommen z.B. Polyester, recycelte Polyester oder Baumwolle zum Einsatz, die mit Polyvinylchlorid (PVC, Vinyl) oder Polyurethan (PU) beschichtet werden. Die âle-derhafteâ OberflĂ€chenoptik wird durch die EinprĂ€gung einer Narbenstruktur nach-empfunden. Achtung: Nicht jedes synthetische Leder ist automatisch auch vegan, ÂŹâ hier kommt es auf die eingesetzten Farben, Klebstoffe und anderen Rohstoffe an.
Querschnitt synthetisches Leder (© Melina Bucher)
Performance: Synthetisches Leder, auch bekannt als âKunstlederâ, wird oft mit schlechter QualitĂ€t verbunden. Geschuldet ist dieser Ruf vor allem den gĂŒnstig produzierten Kunstle-dervarianten der Fast-Fashion-Unternehmen. Dabei ist synthetisches Leder in sei-ner QualitĂ€t und seinen Eigenschaften nahezu frei konfigurierbar.
Die QualitĂ€t ist abhĂ€ngig von den eingesetzten Rohstoffen (TrĂ€germaterial, Be-schichtung) sowie der Verarbeitung. Die Eigenschaften wie Wasserfestigkeit, Flexi-bilitĂ€t und Haltbarkeit sind auĂerdem im Gegensatz zum tierischen Pendant flexibel verĂ€nderbar und können dessen Performance sogar ĂŒbertreffen. Hochwertig pro-duziert wird synthetisches Leder besonders gerne in der Automobilindustrie fĂŒr die Innenausstattung verwendet. Synthetisches Leder ist zudem im Gegensatz zu tieri-schem Leder wassersbestĂ€ndig und pflegeleicht und muss weder gewachst noch imprĂ€gniert werden.
Schon gewusst: Auch traditionelle Luxusmarken nutzen beschichtete Leder oder Kunstleder als besonders bestÀndige Materialien in ihren Kollektionen - die bekannten Monogrammtaschen von Gucci und Louis Vuitton sind aus beschichtetem Kunstleder und das Saffiano-Leder von Prada ist ein maschinell genarbtes und gewachstes Leder.
Nachhaltigkeit: Synthetisches Leder hat seine Vor- und Nachteile. Die Gewinnung des Rohöls fĂŒr die Herstellung ist ressourcenintensiv. Die Umweltauswirkungen sind so unter-schiedlich wie die QualitĂ€t des Materials: Je nach Produktionsland und -stĂ€tte, ein-gesetzten Rohstoffen und Materialdicken unterscheidet sich die Umweltbelastung. Wissenschaftliche Studien, welche Industriestandards im Bereich von syntheti-schem und tierischem Leder vergleichen, zeigen jedoch, dass die Herstellung von synthetischem Leder im Durchschnitt deutlich weniger Ressourcen verbraucht als die Herstellung von tierischem Leder.
Umweltbelastungen bei der Herstellung von tierischem Leder im Vergleich zu synthetischem Leder. Je höher die Zahl, desto schĂ€dlicher ist ein Material fĂŒr die Umwelt. (© Melina Bucher, basierend auf dem HIGG Material Index)
Entsorgung: Hochwertiges synthetisches Leder zeichnet sich insbesondere durch seine Langle-bigkeit aus. Allerdings ergeben sich deshalb auch Probleme bei der Entsorgung: Das Material ist biologisch nur schwer abbaubar und Recycling ist in der Praxis noch nicht verbreitet.
Einsatz in der Modebranche: Viele Accessoires wie Handtaschen und GĂŒrtel werden aus hochwertigem syntheti-schem Leder hergestellt. Die Handtaschen der Luxusdesignerin Stella McCartney werden beispielsweise aus einer Mischung von Polyester (PL/PES) und Po-lyurethan (PU) gefertigt. Aus GrĂŒnden der Nachhaltigkeit und der Liebe zu Tieren besteht auch die erste Melina Bucher Kollektion aus hochwertigstem synthetischen Leder.
Mehr zum Thema tierisches Leder findet ihr in unserem ausfĂŒhrlichen Artikel "Die 5 bekanntesten Mythen ĂŒber tierisches Leder".
Das immer gröĂer werdende Interesse der Menschen am Thema Nachhaltigkeit in Bezug auf Mode wirkt sich auch auf die Beziehung zu synthetischen Materialien aus. Da fĂŒr die Herstellung von synthetischem Leder Rohöl genutzt wird und die Entsorgung problematisch ist, suchen Konsumenten nach anderen veganen Alter-nativen. Einige Materialentwickler versuchen deshalb, einen möglichst groĂen Anteil der rohölbasierten Rohstoffe durch pflanzliche Fasern zu ersetzen. So entstanden in den letzten Jahren eine Vielzahl an sogenannten âpflanzenbasiertenâ Ledern.
Das Unternehmensberatungs- und Marktforschungsunternehmen Infinium Global Research hat im Februar 2021 einen Marktreport zum veganen Leder Markt veröf-fentlicht. Aus dem Bericht geht hervor, dass der globale Markt fĂŒr veganes Leder im Prognosezeitraum von 2020 bis 2026 voraussichtlich eine jĂ€hrliche Wachstumsrate (CAGR) von 48,1 Prozent zunehmen wird. Der Report beinhaltet Profile von Unter-nehmen wie Ananas Anam Ltd, Desserto, Bolt Threads Inc oder VEGEA SRL.
Achtung Greenwashing: Auch wenn Hersteller mit Begriffen wie âPflanzenlederâ, âpflanzenbasiertâ oder âApfelleder aus Apfelrestenâ werben, sind die Materialien lediglich zum Teil pflanzlichen Ursprungs.
Herstellung: Pflanzenbasierte vegane Leder sind Materialien, bei denen FrĂŒchte, BlĂ€tter oder andere pflanzliche Bestandteile zusammen mit Stabilisatoren industriell so bearbei-tet werden, dass das Material am Ende die visuellen und haptischen Eigenschaften tierischen Leders aufweist.
Wie synthetische Leder bestehen pflanzenbasierte Leder aus einem TrĂ€germateri-al, welches mit einem oder mehreren Schichten ĂŒberzogen wird. Nun kommt der pflanzliche Rohstoff zum Einsatz: Im Grundmaterial oder der Beschichtung wird ein Teil der synthetischen Rohstoffe durch pflanzliche Komponenten ausgetauscht. So lĂ€sst sich beispielsweise ein Teil der synthetischen PVC/PU Beschichtung durch landwirtschaftliche Abfallprodukte ersetzen. Beispiele dafĂŒr sind Apfelleder (App-leSkin), Weinleder (VEGEA) oder Kaktusleder (Desserto).
Querschnitt AppleSkin Apfelleder (© Melina Bucher)
Querschnittt Desserto Kaktusleder (© Melina Bucher)
Bei Pinatex, dem Ananasleder des Herstellers Ananas Anam, wird hingegen das TrÀgermaterial ersetzt: Pflanzenfasern der AnanasblÀtter (PALF = Pineapple Leaf Fibre) werden mit PolymilchsÀure (PLA) und PU beschichtet.
Querschnitt Pinatex Ananas Leder (© Melina Bucher)
Performance: Die Hybrid-Leder sind in ihren grundsĂ€tzlichen visuellen und haptischen Eigen-schaften denen von Leder sehr Ă€hnlich. Die synthetischen Bestandteile dienen da-bei meist als Stabilisator der biobasierten Komponente. Damit wird gewĂ€hrleistet, dass die qualitativen Anforderungen wie Haltbarkeit, FlexibilitĂ€t oder FarbbestĂ€ndigkeit erfĂŒllt werden können.
Es gibt derzeit kaum wissenschaftlich basierte Untersuchungen, welche die me-chanischen Eigenschaften anhand von ĂŒblichen Parametern in der Materialkunde vergleichen. Erste Analysen weisen aber darauf hin, dass die Performance insbe-sondere von der StabilitĂ€t des TrĂ€germaterials abhĂ€ngt. Bei der Entwicklung ei-gener Samples lieĂen sich Apfelleder und Kaktusleder wie synthetisches Leder verarbeiten. Ananasleder war in bisherigen Materialtests leider nicht so kratzbe-stĂ€ndig, dass es sich fĂŒr die von uns geforderte QualitĂ€t fĂŒr Designerhandtaschen anbieten wĂŒrde. FĂŒr einzelne Applikationen lĂ€sst es sich allerdings wunderbar ein-setzen.
Nachhaltigkeit: Auch wenn die Hersteller der Pflanzen-Plastik-Hybride mit der Nachhaltigkeit ihrer Materialien werben und Medien sie als nachhaltigere Alternative zu synthetischem Leder anpreisen, gibt es zu den Umweltauswirkungen bisher wenige bis keine wis-senschaftlichen Daten. Desserto hat erste Ergebnisse einer LCA-Studie fĂŒr sein Kaktusleder veröffentlicht, allerdings ist die Erhebungsmethodik bisher nicht öffent-lich einsehbar. Deshalb lĂ€sst sich die Frage, inwieweit Materialien wie Apfelleder, Kaktusleder oder Ananasleder im Vergleich zu anderen Ledern abschneiden, bis-her nicht beantworten.
Ein Vorteil ist sicherlich, dass ein Teil der fossilen Rohstoffe durch landwirtschaftli-che AbfĂ€lle ersetzt wird. Das Apfelpuder des Herstellers FRUMAT, welches fĂŒr Ap-felleder genutzt wird, wird beispielsweise aus AbfĂ€llen der Fruchtsaftindustrie her-gestellt. Der Fruchtbestandteil betrĂ€gt dabei etwa 20-30 %, 70-80 % sind PU, Poly-ester und Baumwolle.
Zudem stellen die jungen Unternehmen Informationen zu Herstellungsorten und -bedingungen hĂ€ufig auf transparentere Weise bereit als es in der Tier-Leder-Industrie ĂŒblich ist. Ăberraschenderweise besteht das TrĂ€germaterial in der Stan-dardausfĂŒhrung der Materialien jedoch oft aus Polyester bzw. Polyester-Baumwoll-Mischgewebe, obwohl die Unternehmen mit dem Verzicht auf fossile Rohstoffe werben.
Entsorgung: Da die pflanzenbasierten Materialien mit synthetischen Komponenten gemischt werden, ist eine biologische Abbaubarkeit nicht gegeben. Auch die ReyclingfÀhigkeit ist bisher nicht thematisiert, grundsÀtzlich sind Mischmaterialien allerdings noch schwieriger zu recyceln als reine synthetische Materialien.
Einsatz in der Modebranche: Die Materialien haben sich bisher fĂŒr den Einsatz von Accessoires bewĂ€hrt und sind in der Produktion genauso zu verarbeiten wie tierische oder synthetische Le-der. Das deutsche Unternehmen Nuwaii fertigt z. B. Taschen aus Apple Skin und Sylven New York stellt daraus hochwertige Schuhe her. Karl Lagerfeld hat dieses Jahr eine Kollektion aus Kaktusleder gelauncht. Pinatex, welches eine besondere OberflĂ€chenbeschaffenheit aufweist, wird beispielsweise fĂŒr Accessoires von Alkeme Atelier eingesetzt.
Sammlung von Ananas BlĂ€ttern fĂŒr die Herstellung von Pinatex. Ananas Anam ist eine zertifizierte B-Corp. (© Ananas Anam)
Herstellung: Ein neues, spannendes Material ist Mirumâą des Startups Natural Fiber Welding aus den USA. Das Besondere: Natural Fiber Welding ist gelungen, ein zu hundert Prozent biobasiertes und plastikfreies veganes Leder zu entwickeln. Auch Mirumâą nutzt ein TrĂ€germaterial, â derzeit wird Biobaumwolle eingesetzt. Die Beschichtung sowie die Klebstoffe sind erstmalig nicht synthetischer Natur, sondern bestehen zu 100 % aus Pflanzen und anderen organischen Inhaltsstoffen. Das Verfahren wurde patentiert und verspricht unter dem Motto âPlants not Plasticâ den Verzicht auf Rohöl möglich zu machen.
Querschnitt Mirum veganes Leder (© Melina Bucher)
Performance: Das Material verhÀlt sich in seinen visuellen und haptischen Eigenschaften wie tie-risches Leder. Ein direkter Vergleich der Performance im Vergleich zu anderen Pflanzen-Synthetik-Hybriden bzw. synthetischem Leder anhand physischer Parameter steht noch aus. In der Produktion verhÀlt es sich wie andere synthetische Leder und kann auf gleiche Weise verarbeitet werden.
Nachhaltigkeit: Natural Fiber Welding gibt an, dass die Produktion von Mirumâą bis zu 40 mal weniger CO2-Emissionen als tierisches Leder und 17 mal weniger CO2-Emissionen als synthetisches Leder benötigt. Zudem wird bei der Herstellung kein Wasser verbraucht. Eine Bewertung des Materials in einer umfangreichen LCA-Studie wurde durchgefĂŒhrt, ist allerdings momentan noch nicht öffentlich zugĂ€nglich. Mirumâą besteht je nach Farbe aus unterschiedlichen Rohstoffen wie beispielsweise Kokosnussfasern, Kork und pflanzlichen Ălen. Die Rohstoffe sind teilweise Abfallstoffe aus an-deren Industrien, es wird z. B. Kork aus der Weinkorkenproduktion eingesetzt.
Ein klarer Vorteil gegenĂŒber anderen veganen Ledern ist, dass Mirumâą nur aus natĂŒrlichen Bestandteilen besteht. Die ersten Versionen haben bereits die USDA biobased Zertifizierung erhalten. âBiobasiertâ bedeutet dabei, dass fĂŒr das Material nur biogene Rohstoffe anstelle von fossilem Gas, Kohle oder Erdöl fĂŒr die Herstellung verwendet werden. Es werden auĂerdem keine PU-Beschichtung und kein synthetischer Klebstoff verarbeitet. Dies bedeutet auch, dass Mirumâą in der Umwelt durch Mikroorganismen und physikalisch-chemische EinflĂŒsse abgebaut werden kann.
Entsorgung: Mirumâą ist âcircular by designâ, das Material wurde also fĂŒr die Kreislaufwirtschaft entwickelt. Das bedeutet, dass Mirumâą nach der Nutzung von Natural Fiber Welding wieder vom TrĂ€germaterial getrennt werden kann. AnschlieĂend kann es zur Herstellung von neuem Mirumâą von gleicher QualitĂ€t genutzt werden. Aufgrund des natĂŒrlichen Ursprungs kann das Material alternativ kompostiert und an die Natur zurĂŒckgegeben werden. Eine entsprechende Zertifizierung steht allerdings noch aus, bisher beziehen sich die Angaben auf Labortests des Unternehmens.
Circular By Design Prozess von Mirum (© Natural Fiber Welding)
Einsatz in der Modebranche: Wir sind eine der ersten Brands weltweit, die im Januar Taschen aus MirumÂź auf den Markt gebracht hat. Meet BAILEY unsere erste Handtasche aus MirumÂź hier. Zudem wird das Material in Pilotprojekten von Porsche fĂŒr einen Autoledersitz oder fĂŒr Jeans Batches bei Ralph Lauren getestet. Das Material ist bisher in neutralen Farben erhĂ€ltlich. Da es im Gegensatz zu synthetischen Ledern bzw. Pflanz-Synthetik-Hybriden nicht mit industriellen Farben gefĂ€rbt wird, sondern die FĂ€rbung durch Mineralien entsteht, befinden sich weitere Farben in der Entwicklung.
Im Folgenden findest du einen ausfĂŒhrlichen Vergleich der bekanntesten veganen Leder basierend auf wissenschaftlicher Forschung. Wo noch keine wissenschaftlichen Daten vorliegt, haben wir dies entsprechend gekennzeichnet. FĂŒr die Bewertung der Performance haben wir Unternehmensinformationen sowie unsere eigenen Erfahrungen mit den Materialien einbezogen.
Vergleich der bekanntesten veganen Leder (© Melina Bucher)